Aussegnungsfeier

Aussegnungsfeier für die Körperspender 2024

Liebe Angehörige, sehr geehrte Damen und Herren,

im Verlauf dieses Wintersemesters konnten sich Studierende der Humanmedizin und Zahnmedizin durch die großherzigen Körperspenden praktische Kenntnisse für ihren künftigen Beruf erwerben. Dafür sind wir zu tiefstem Dank verpflichtet.

Zum Gedenken an die Toten wird am Donnerstag, den 22.02.2024, ab 11 Uhr eine ökumenische Aussegnungsfeier stattfinden:

Ort: Stiftskirche Tübingen

Die ökumenische Feier wird von den Studierenden gestaltet und von den Hochschulpfarrern, Wolfgang Metz (kath.) und Ravinder Salooja (ev.), geleitet.

DU, und wie du wohl warst

Lesung bei der Aussegnungsfeier

Du bist eines Tages an einem äußerst verregneten Sonntag auf die Welt gekommen
 
Du hast früher als alle anderen Kinder in deinem Alter deine ersten Schritte gemacht
 
Du bist mit 6 Jahren an dem heißesten Tag des Jahres in die Schule gekommen, und hast in dem Mädchen neben dir gleich eine Freundin gefunden
 
Du hast eine schallende Ohrfeige kassiert, als du zum ersten Mal mit einer vier nachhause kamst
 
Du bist voller Freude von dem blauen Steg in den glitzernden See gesprungen, der nur 10 min von zuhause entfernt war
 
Du hast fürchterlich geweint, als deine Katze weggelaufen ist
 
Du wurdest von den Nachbarn oft als „Käpsele“ bezeichnet,  weil du es immer geschafft hast, heimlich ihre Kirschen zu klauen
 
Du hast dich mit 14. das erste Mal verliebt (leider unglücklich)
 
Du hast dir den Arm gebrochen (2-mal)
 
Du hast gesagt du willst Pilot werden, obwohl du Höhenangst hattest, das fand ich mutig
 
Du hast die Nacht durchgemacht um die Abgabe fertig zu bekommen, mit der du viel zu spät begonnen hast
 
Du bist dann doch nicht Pilot geworden
 
Du hast jemanden kennengelernt, mit dem du die schwärzesten Nächte überstehen konntest
 
Du hast dann einen total langweiligen Beruf gehabt, „aber in dieser Welt braucht man eben einfach das Geld“, hast du immer gesagt  
 
Du hast Kinder bekommen und warst unglaublich stolz auf jedes Einzelne
 
Du hast jeden Abend Geschichten vorgelesen, auch wenn sie manchmal doch ein bisschen zu gruselig waren
 
Du hast in deinem lang ersehnten Urlaub an deinem Caipirinha geschlürft
 
Du hast unglaublich gut gekocht und deine Klöße waren einfach einmalig
 
Du hast jeden Sonntag Tatort geschaut und immer gewusst wer der Täter war, wie hast du das gemacht?
 
Du hast einmal aus Versehen ein Abo für Geschirrspültücher abgeschlossen
 
Du hast Krebs bekommen, einen schrecklichen Krebs und kurzeitig wusstet du nicht wie du damit umgehen sollst, aber du hast beschlossen zu kämpfen und hast ihn besiegt
 
Du hast es auf den Stress geschoben, als du das erste graue Haar entdeckt hast, aber wir wussten alle das du älter wurdest
 
Du hast  dich dazu entschieden Körperspender zu werden und erst fand ich die Idee seltsam, doch es war eben das was du wolltest
 
Du hast gesagt, du magst die „After Eight“-Schokolade am allerliebsten und daraufhin hat dir jedes deiner Enkelkinder nur noch das geschenkt
 
Du hast unglaublich viele Sachbücher gelesen, warst aber keinesfalls besserwisserisch wie du jedes mal aufs neue betont hast, wenn du mir mal wieder Tipps gegeben hast
 
Du hast laut aufgelacht, als dir verkündet wurde, dass du in ein Altenheim solltest, weil dein Kopf bei der 40 stehen geblieben ist, dein Körper aber eigentlich schon 80 war
 
Du hast im Altenheim viel Zeit damit verbracht Eichhörnchen zu zählen.
 
Du bist ins Krankhaus gekommen und hast die ganze Station mit deinen Scherzen unterhalten
 
Du bist an einem äußerst verregneten Sonntag in deinem Zimmer gestorben
 
Du hast deinen Körper der Wissenschaft gespendet 
 
Du warst ein Mensch, den man nicht vergessen kann, weil deine Liebe und dein Wesen so besonders für mich waren. Du hast gelacht, geweint und gelebt auf jegliche Art und Weise. Du warst ein Mensch mit viel Bedeutung und bist jeden Tag hier bei mir in meinen Gedanken, auf Bildern oder eben in den Geschichten, die ich von dir erzählen kann.

Gesa Francksen (2024)

Dankesrede

Sag mir, wie du heißt, und ich sag dir, wer du bist. Diesen Satz hat sicher jeder schon einmal gehört. Doch über dessen Relevanz haben wir uns noch nie so viele Gedanken gemacht, wie in der letzten Zeit. Ein Name gibt seinem Träger einen Charakter, sagt viel über sein Wesen und sein Schicksal aus. Ein Name ist aber noch viel mehr als das. Jeder Name trägt seine eigene verborgene Botschaft. Bis plötzlich jemand vor einem liegt. Ein Körper, dessen Namen uns verborgen geblieben ist.  
 
 
Liebe Angehörige, Kommilitonen, liebe Damen und Herren,  
 
Wir haben uns heute zu einem sehr besonderen Anlass, der Aussegnungsfeier für die Körperspenderinnen und Körperspender, versammelt.  
 
„Die Erinnerung ist das Licht, welches leuchtet, wärmt und tröstet.“  
 
 Dieser Gedanke leitet uns durch die heutige Feier und das anschließende Beisammensein.  
Und wie das Licht verschiedenste Menschen zusammenbringt, gestalten wir diese Aussegnungsfeier so, dass sie uns alle zusammenführt und mit Zuversicht und Verbundenheit erfüllt. 
Denn unterschiedlicher könnten wir wohl kaum sein – einander so fremd und doch durch das Geschenk der Körperspende vereint.  
Mit diesem Gedanken möchten wir den Menschen, die ihren Körper gespendet haben, danken und in Würde von ihnen Abschied nehmen. 
 
Uns ist bewusst, dass Trauer und Abschiednehmen sehr individuelle Prozesse sind und jeder von Ihnen unterschiedlich mit dieser doch sehr außergewöhnlichen Situation umgeht.  
Einige von Ihnen mögen vielleicht im Einverständnis mit dem Wunsch Ihres Nächsten gewesen sein; Andere haben vielleicht damit gehadert.  
Deshalb möchten wir unseren Dank auch an Sie richten. An die Menschen, die denen, denen unser Dank gebührt am nächsten standen. Dafür, dass sie die Entscheidung ihrer Angehörigen akzeptiert und respektiert haben, für das Vertrauen, dass sie uns entgegengebracht haben und für ihr heutiges Kommen. 
Gemeinsam möchten wir den Verstorbenen gedenken und unseren Dank und Respekt gegenüber ihrem Mut zur Körperspende aussprechen. 
 
Es gibt viele Gründe, weshalb wir Studierende dankbar sind. Im Zentrum dessen steht die Frage: “Was motiviert einen Menschen dazu, den eigenen Körper zu spenden? “  
Die Entscheidung zur Körperspende ist ein Entschluss, der bereits zu Lebzeiten endgültig getroffen wurde.  
Für diese Entscheidung benötigt es vor allem ein großes Maß an Mut. Den Mut, sich schon während des Lebens über den eigenen Tod Gedanken zu machen. Aber auch die Courage und Weitsicht, sich mit der Frage zu beschäftigen: „Was passiert mit mir und meinem Körper, wenn ich tot bin?”  
Bei dieser Entscheidung kann man schließlich keine Kompromisse eingehen. Der ganze Körper, in seiner gesamten Schönheit, aber auch mit den eigenen individuellen Makeln oder Unsicherheiten wird anderen zur Verfügung gestellt, damit sie daran lernen können.  
Die Körperspende ist das größte Geschenk, das ein Mensch uns Medizinstudierenden geben kann. Am Körperspender zu lernen, bedeutet für uns die Möglichkeit, die Anatomie des Menschen zu verstehen und darüber hinaus zu sehen, was es heißt, mutig und selbstlos zu sein. 
 
Wie gehen wir Studierende nun mit diesem Geschenk um? Welche Perspektive nehmen wir in dieser Situation ein? 
In unserem Studium gibt es viele Menschen und Phasen, die uns besonders prägen. Während der Zeit vor Weihnachten haben wir erfahren, welche intensive Zeit der Präparier-Kurs für uns darstellt. Eine Zeit, an die wir uns definitiv noch sehr lange erinnern werden. In der Vorklinik steht man in der Regel vor einem immensen Berg an theoretischem Wissen. Der Präparier-Kurs war für die meisten von uns die erste Möglichkeit, dieses theoretische Wissen anzuwenden, sowie die erste Möglichkeit, die Komplexität und Schönheit des menschlichen Körpers zu verstehen.  
 
Stellen Sie sich vor: Sie sind als Student im ersten Semester von einer Neugier ergriffen, die sehr schwer in Worte zu fassen ist. “Wie ist der menschliche Körper aufgebaut? Wie funktioniert dieses Organ?” Vielleicht auch “Wie ist es an einem echten Körper zu lernen?”. Daraufhin entwickelt sich diese Neugier weiter in einen Wissensdurst: Man wird von einer Faszination ergriffen, spätestens wenn man das erste Mal ganz aus der Nähe ein Herz betrachtet, von dem man weiß, dass es ein Leben lang geschlagen hat.  
Diese Art des Lernens ist einzigartig und unersetzbar.  
 
Denn sie liefert uns letztendlich 2 Möglichkeiten zur Weiterentwicklung: Zum einen, bekommen wir die Möglichkeit, unsere fachliche Kompetenz weiterzuentwickeln. Denn die Anatomie ist der Bauplan des menschlichen Körpers. Diesen Bauplan anhand eines echten Modells zu verinnerlichen, ermöglicht erst ein verantwortungsvolles ärztliches Handeln und eine patientenwürdige Therapie.  
Zum anderen gibt die Körperspende uns die Möglichkeit zum Erlernen einer wichtigen Kompetenz für unsere spätere Tätigkeit als Medizinerinnen und Mediziner, nämlich die professionelle Distanz. Sie ist wichtig, um den Patienten eine gute Behandlung zu ermöglichen. 
Im selben Zuge kommt es für eine gute Behandlung auch darauf an, den Menschen hinter dem Patienten emotional zu verstehen – mitsamt seinen Wünschen und Bedürfnissen. 
 
Und diese langfristige Perspektive des Präpkurses steht im Mittelpunkt: Hoffentlich werde ich ein guter Arzt. Denn unser Anspruch an uns selbst muss es sein, dass wir die Gesundheit und das Leben unserer Mitmenschen bewahren. In diesem Sinne durften wir durch den Präparier Kurs tatsächlich für „das Leben“ lernen. 
 
„Die Erinnerung ist das Licht, welches leuchtet, wärmt und tröstet.“  
 
Wir wünschen Ihnen, dass die Erinnerungen an Ihre Nächsten leuchtender Natur sind; dass die Gedanken an sie wärmen und trösten.  
Uns haben ihre Angehörigen in dem Sinne inspiriert, dass Sie für uns zu einem Licht der Erkenntnis geworden sind.  
Dafür sind wir Ihnen in hoher Anerkennung verbunden und sprechen Ihnen unseren Dank aus. 
 
Dankeschön.

Hannah Deutschmann, Laura Tufekcic, Quirin Öttl, Hannes Jägle, Emanuel Rau, Lovis Weyergraf und Jakob Bohn
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